Es ist wenige Tage nach dem Martinstag. Wir sind wieder in Flecken Zechlin. Wie in jedem Jahr hat der Herbst die Blätter tanzen lassen. Jetzt warten sie geduldig darauf, von uns entfernt zu werden.
An diesem wunderbar sonnigen Herbsttag werden wir freudig schnatternd begrüßt. Die Graugänse sind unterwegs. Auf ihren Weg von Ost nach Süd machen sie auch in Flecken Zechlin halt. Mehrere hundert von ihnen haben es sich auf den Feldern vor dem Ort und auf dem schwarzen See bequem gemacht.
Was für ein Naturschauspiel! In unregelmäßigen Abständen erhebt sich eine Gruppe aus dem See und fliegt eine Runde. Einmal geht es direkt über unsere Köpfe hinweg, eine Ehrenrunde um das Amtshaus und dann … zum Feld, zum See, wer weiß.
Wieder zu Hause überlege ich, was der heilige Martin mit den Gänsen zu tun hat. Angeblich war er zu bescheiden, als ihm die Bischofsweihe verliehen werden sollte. Er versteckte sich im Gänsestall. Dabei hatte er nicht mit dem Lärm gerechnet, den diese Tiere verursachen können. Er wurde gefunden und zum Bischof von Tours ernannt. Warum die armen Gänse seitdem am Martinstag geschlachtet und gegessen werden, erschließt sich mir nicht aus dieser Geschichte. Sie werden doch nicht als Verräter betrachtet?
Da gefällt mir die Aufzeichnung des Geschichtsschreibers Livius besser. Am 18. Juli des Jahres 387 v.u.Z. drangen Kelten über die Alpen kommend in Rom ein. Während die Bewohner schliefen, schlugen die heiligen Gänse der Göttin Juno Alarm. Die Bewohner wurden geweckt. Gerade rechtszeitig, um wenigstens das Kapitol zu retten.